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Kernkraft – uns wär‘ das nicht passiert

Die derzeitige Diskussion rund um die Kernenergie, verbunden mit den Geschehnissen in Japan, haben mich dazu gebracht etwas den lokalen Blick zu schärfen. Jülich (30 km Entfernung nach Aachen) beheimatet die 1988 stillgelegte Kernforschungsanlage. Die Umgebung und die Wälder habe ich durch einige Fahrradtouren, Spaziergänge und Läufe kennen gelernt.

Das Kernkraftwerk Jülich wurde 1967 als Forschungsreaktor in Betrieb genommen. Mit seiner Bauweise als Kugelhaufenreaktor leistete er eine Elektrische Nettoleistung von 13,2 Megawatt, die auch in das Stromnetz eingespeist wurde. Am 13. Mai 1978 traten infolge eines länger unbemerkten Lecks im Überhitzerteil des Dampferzeugers 27,5 t Wasser in den Primärkreislauf und damit in den Reaktorkern ein. Obwohl dieser Störfall nur in die Kategorie C eingeordnet wird, stellt er wegen des positiven Reaktivitätseffekts des Wassers einen der gefährlichsten Störfälle für einen Hochtemperaturreaktor dar. Der Störfall blieb wahrscheinlich nur deshalb ohne schwere Folgen, weil der Kern nur niedriege Temperaturen aufwies und das Leck klein blieb. Unter dem Reaktor befindet sich durch den Störfall radioaktiv belastetes Erdreich und Grundwasser. Das Fundamentkammerwasser, welches mit der Umgebung in direktem Kontakt steht, wurde mit Strontium-90 und Tritium radioaktiv kontaminiert. Der kontaminierte Reaktorbehälter wird zunächst nicht zerlegt. Im November 2008 wurde er stattdessen mit Beton verfüllt, um so die radioaktiv hoch kontaminierten Graphitstaubteilchen zu fixieren. In diesem Jahr soll der 2100 Tonnen schwere Behälter zur Zwischenlagerung in eine 200 Meter entfernte Halle transportiert werden. Derzeit werden die verbrauchten Brennelementekugeln in 152 Castor-Behältern auf dem Gelände gelagert. Da die Genehmigung für diese Lagerung 2013 abläuft beabsichtigt das Forschungszentrum die Castor-Behälter nach Ahaus zu überführen. Die Energiewerke Nord GmbH ist mit dem vollständigen Rückbau beauftragt, welcher bis zum Jahr 2015 realisiert werden soll.

Eine weitere nennenswerte Kernanlage in der Umgebung befindet sich in der Fahrradregion bei Lüttich (60 km Entfernung nach Aachen). Das Kernkraftwerk Tihange bei Huy ist eines von zwei in Betrieb befindlichen Kernkraftwerken in Belgien. Am 22. November 2002 ereignete sich ein Störfall. Obwohl der Reaktor zu dieser Zeit heruntergefahren war, produzierte er immer noch Wärme. Durch einen Test wurde fälschlicherweise ein Sicherheitsventil des Druckhalters geöffnet, wodurch der Druck im Primärkreislauf in kürzester Zeit fiel. Sinkt der Druck jedoch, verringert sich die Siedetemperatur des Wassers und geht in den gasförmigen Zustand über. Dann kann die Nachzerfallswärme nicht mehr abtransportiert werden und es besteht die Gefahr einer Kernschmelze. Bei diesem Zwischenfall wurden aufgrund des schnellen Druckabfalls mehrere Sicherheitssysteme aktiviert, die Wasser in den Reaktor einspeisten und die Brennelemente kühlten. Das fälschlicherweise geöffnete Überdruckventil wurde wegen Kommunikationsproblemen erst nach drei Minuten wieder geschlossen. Ein weiterer Zwischenfall in Tihange ereignete sich am 4. Oktober 2010. Wie belgische Medien berichteten, liefen dabei rund sechs Kubikmeter einer Chemikalie in die Maas. Für die Umwelt bestand keine Gefahr, hieß es von Seiten des Kraftwerkbetreibers. Es sei bei diesem Zwischenfall kein radioaktives Material ausgetreten.

Die Natur ist schwer berechenbar, menschliches Handeln nicht fehlerfrei und Dieselmotoren springen halt manchmal nicht an. Es ist fraglich, ob die Betreiber der aktuell weltweit 443 Reaktoren der hohen Verantwortung nachkommen können.